„Escuela Mixta Benito Juarez“ – mein Projekt und mein Arbeitsleben

Veröffentlicht: Oktober 31, 2010 in In Ecuador

Nun ist er da; der mit Spannung erwartete Bericht über mein Projekt und meine Arbeit in der Nachmittagsschule „Escuela Mixta Benito Juarez“. Ich bin jetzt schon seit 6Wochen dort eingesetzt und diese Schule ist der eigentliche Grund meines Einsatzes hier. Der Grund warum ich erst jetzt nach vergleichsweise langer Zeit darüber schreibe ist, dass ich primär Eindrücke sammeln wollte und einen umfassenden Bericht darzulegen und nicht nur um Bruchstücke und einzelne Fetzen zu erzählen.

 

Fakten:

Name: „Escuela Mixta Benito Juarez“

Schüler: 720 Schüler in 24Klassen

Alter: 5-14Jahre

Schulform: Nachmittagsschule von 13-18Uhr

 

Alles nahm damit seinen Anfang, dass wir zwei Wochen nach der Ankunft hier mit Belen, einer Mitarbeiter des VASE-Teams zur Schule geführt wurden und wir der Schulleiterin, sowie den meisten Lehrern vorgestellt wurden. Danach bekamen wir noch unsere Stundenpläne, Schlüssel für die Räumlichkeiten und einen kleinen Rundgang zu Besichtigungszwecken. Zum Schluss wurden wir noch gefragt, ob wir uns schon zutrauen würden selbstständig zu unterrichten und welche Klassen wir gerne haben würden. Nach einer Erklärung seitens der VASE-Mitarbeiterin sei es doch besser, uns vorerst „Schulluft“ schnuppern zu lassen und uns allmählich mehr Kompetenzen zu zusprechen.

Der erste Arbeitstag von Matthias(wohnt auch mit mir in Tumbaco und ist mittlerweile mein bester Kumpel hier) und mir verlief dann eher bescheiden. Alle Lehrer wurden vorgestellt und damit mussten auch wir beide vor mehr als 700 Schüler treten und bekamen nicht mehr als ein verschmitztes Lächeln und ein verlegenes „Hola!“ heraus. Der Jubel und Enthusiasmus für uns war überraschend groß. Danach wurde noch ganz patriotisch die ecuadorianische Flagge gehisst und die Hymne per Kassettenrecorder und Mikrofon über den ganzen Pausenhof geschallt. Diese Prozedur wiederholte sich jetzt eine Woche lang und danach war für uns der Arbeitstag schon wieder beendet.

In der nächsten Woche sollte es dann richtig losgehen und wir wurden dem Sportlehrer Fabian zugeteilt, der an sich eine sehr entspannte Person ist, sehr verständnisvoll und ein netter Arbeitskollege. Er selbst hat drei Kinder und vormittags noch einen Job bei einem Logistikunternehmen. Des Weiteren hat er einen leichten Hang zum Militarismus, lässt die Kinder gerne marschieren, liebt Disziplin und seine drei Kinder sind ebenfalls auf einer Militärschule in Puembo.

Meine zweite Arbeitskollegin heißt Gloria, ist ziemlich jung und mag es Freiwillige um sich zu haben. Sie ist eine sehr sarkastische Person, die viel Humor und Witz als Kollegin hat, dafür aber den Unterricht eher streng gestaltet.  An sich ist ihr Englisch auch keinesfalls perfekt und so genießt sie es sich immer noch mal bei einigen Worten und Formen rückversichern zu können. Auch sie hat vormittags noch einen Job an einer anderen Schule hier in Tumbaco.

Der Unterricht bestand für Matthi und mich in den ersten Wochen eher aus hospitieren als aus selbst unterrichten. Eigentlich saßen wir die ganze Zeit nur dabei und haben zugeschaut, wie man so eine ecuadorianische Klasse kontrolliert und in Zaum hält. Auch musste sich unser Spanisch vorerst soweit verbessern überhaupt eine Klasse leiten zu können.

Ich erinnere mich hierbei nur zu gerne an eine Situation in meiner zweiten Woche, in der Gloria auf die Idee kam, jetzt plötzlich die ganze Schule nach Läusen durchsuchen zu müssen und ich solle doch mal Beaufsichtigung in der Klasse 5C führen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass dies die schlimmste Klasse der Schule sein sollte. Kaum 5-Minuten nach meiner Ankunft, stellten die Kinder viele Fragen, wollten dass ich einige Zurechtweise, da der Lautstärkepegel enorm anstieg und die Beschwerden häuften sich. Ich vorne versuchte vorzutäuschen, dass ich mich auf ihre Mathematikklausuren konzentrierte, jedoch verstand ich weder die Kinder, noch konnte ich irgendwie einen Schüler maßregeln, da mir einfach die Vokabeln fehlten. Eine verdammt blöde Situation, weil die Kinder dies bemerkten und das Chaos sich proportional zu den Nichtbeantworteten Fragen steigerte…

Mittlerweile muss ich sagen, dass man diese Schulvokabeln sehr schnell lernt und ich in meinem Projekt viel an Spanisch dazugelernt habe. Die meisten Kinder sind auch sehr herzlich, begrüßen einen in der ganzen Stadt und in der Schule mit einem lauten „Profe!“ und meistens gibt’s auch noch eine Umarmung mit anschließendem Händchen halten. So passiert es mir zum beispielsweise oft, dass ich abends vom Fitnessstudio oder vom Einkaufen zurückkehre und mir Kinder aus dem Bus, aus dem Fenster oder von der anderen Straßenseite ein lautes „Profe Marcello!“ zurufen.

Zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich sehr gut, wie man eine Klasse zurechtweist (da kommt der Bademeister raus 😉 und inwieweit man Autorität und Humor verbinden kann. Auch helfen mir meine 13Jahre Schule bezüglich Unterrichtmethoden sehr gut weiter.

Auch merken meine Kollegen, dass ich viel in der letzten Zeit gelernt habe und ich bekomme immer mehr Kompetenz zugesprochen. So wird aus dem anfänglichen Rumsitzen immer mehr ein Abwechseln der Stunden geben in Englisch und ein Aufteilen der Klasse in Sport. Nun habe ich fast täglich Verantwortung und Eigenständigkeit, die mich ausfüllt. Oftmals sind die Lehrer auch während meiner Stunden gar nicht anwesend und vertrauen mir so die Klasse komplett an. Matthi und ich wechseln uns täglich ab, sodass jeder einen Tag Englisch hat und den anderen Tag dann wieder Sport. Diese Abwechslung trägt im Idealfall auch nochmal dazu bei, dass es nicht langweilig wird.

Dennoch muss man sagen, dass die Zustände die ich in dieser Schule mitbekomme absolut katastrophal sind und einfach so überhaupt nicht mit deutschen Verhältnissen zu vergleichen sind. In jeder Klasse hat man wirkliche Außenseiter, die entweder komplett introvertiert oder absolut ungehorsam sind. Besonders im Sportunterricht bemerkt man das sehr deutlich. Auch ist die Schuluniform oftmals viel zu groß und von älteren Geschwistern oder viel zu klein, weil die Eltern kein Geld haben Neue zu kaufen. Viele Kinder sind total vernachlässigt, haben im Alter von 6Jahren schon verfaulte Zähne, haben verdrecktes Haar und eine verletzte, schmutzige und fahle Haut. Auch ist der Körpergeruch, der in der Regel im jungen Alter noch nicht stark vorhanden ist bei vielen schon sehr stark ausgeprägt, was klar aus mangelnder Hygiene resultiert. Immer wenn ich mit Essen über den Pausenhof flaniere, bekomme ich viele Anfragen, ob sie mal von meinem Kuchen oder Brot beißen dürfen oder ich ihnen meinen Überrest schenken würde. Das stimmt mich oft sehr traurig, denn die Unkonzentriertheit der Kids resultiert meistens aus einem mangelhaften oder nicht dagewesenen Mittagessen. Das Lieblingsessen der meisten besteht aus Reis mit Reis… Die traurige Wahrheit hat sich für mich offenbart, als ich eine Umfrage in einer vierten Klasse machte, wer alles Milch zu Hause hätte und von 40Kindern hatten keine 15 die Hände oben… Außerdem gibt es in jeder der Klassen (2-8) Schüler, an denen die komplette Schulbildung vorbeigezogen zu sein scheint. Diese „Problemkinder“ sind totale Analphabeten und können weder lesen noch schreiben. Eine traurige Realität, denn davon findet man etwa 2-7 in jeder der 40Schüler starken Klassen.

Viele der Kinder haben Alkoholiker als Eltern, die es vorziehen in Alkohol zu investieren als in Essen, Schulsachen oder Spielsachen. Für ihre Kinder interessieren sie sich prinzipiell nicht und der neueste Hollywoodstreifen hat mehr Priorität als sich ernsthaft mit ihren Kindern auseinander zu setzen. Des Weiteren ist ihnen auch die Leistung ihrer Kinder, in denen ihrer Meinung nach unwichtigen Schulfächern, wie z.B. Englisch herzlich egal und auch die schlechteste Note 10 wird eher ignoriert als dagegen vorgegangen. Hinzu muss jedoch gesagt werden, dass die Eltern in den Problemfächern der Kids oftmals selbst keine Ahnung haben und ihnen auch Geld für eine Nachhilfe fehlt. Eine Vielzahl der Kids hat einfach ein riesiges Bedürfnis sich mitzuteilen und körperliche Nähe zu erfahren und so suchen sie dieses oftmals bei uns Freiwilligen, was wir aber bei der großen Menge an Schülern einfach nicht leisten können.

 

Wir zwei Volunteers haben uns auch schon oft gefragt, ob es nicht prinzipiell sinnvoller wäre von unserem weltwärts-Stipendium der Benito Juarez jeden Tag einen Mittagstisch zu finanzieren und alle Kinder gehen satt und konzentriert in den Unterricht, als uns in Arbeit zu involvieren, die die beiden Lehrer Gloria und Fabian selbstständig und ohne Freiwillige verrichten könnten.

Besonders haben wir zwei uns gewünscht die Situation der Analphabeten in der Schule zu verbessern, da wir hierin die Chance sahen langfristig und nachhaltig die Lage der Schüler zu verbessern. Diese Kinder haben auf dem Arbeitsmarkt später geringe Perspektiven und Bildung generell bleibt ihnen absolut verwehrt, wenn sie nicht des Lesens und Schreibens mächtig sind. Daher haben wir beide in der letzten Woche mit der Direktorin gesprochen und unser Konzept eines Analphabetenkurses für Betroffene vorgestellt, das glücklicherweise mit Entgegenkommen bewilligt wurde. Der Kurs hatte letzten Freitag seine Premiere gehabt und ich habe in einem kurzen Lesetest und Wörterdiktat das Können meiner Schüler auf die Probe gestellt, umso nochmal nach Schweregraden zu differenzieren und überhaupt die Notwendigkeit festzustellen. Nun kenne ich schon einige Fehlerschwerpunkte und kann für nächste Woche gezielt Übungen und Arbeitsblätter vorbereiten. Nach dem etwa halbstündigen Test kam ich mit meinen Schülern ganz beiläufig auf Deutschland und Europa zu sprechen und sie eröffneten mir, dass nichts darüber wüssten. Daraufhin begann ich mit einem kleinen Geographieexkurs und auf meine Frage nach den fünf Erdteilen bekam ich „Pichincha, Mexiko, Costa oder Collaqui zu Antwort…“ Als leidenschaftlicher Geographiker haben wir so primär die fünf Kontinente durchgenommen, die ich auch als Hausaufgabe zum Lernen aufgegeben habe. Ich persönlich habe mir das Ziel gesetzt, dass nach meinem Jahr hier alle Schülerinnern und Schüler aus meinem Kurs schreiben und lesen können…! Über den Fortschritt des Kurses könnt ihr euch selbstverständlich auf dieser Seite hier informieren 😉

Dennoch ist das nicht alles, was ich momentan an zusätzlicher Freiwilligenarbeit hier in Tumbaco leiste. Die Idee hierzu verdanke ich meiner Gastschwester Sandra, die mich eines Abends über meine Sportvorlieben ausfragte und ich von meinem langen Dasein als Judoka berichtete. Diese Tatsache überwältigte sie und sie schlug vor, dass ich das Fach Judo an ihrer Schule (sie ist ebenfalls Lehrerin) in Collaqui, dem deutlich ärmeren Stadtteil von Tumbaco anbieten solle. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Direktor war die Sache geritzt und ich bekam direkt volle Handlungsfreiheit und volle Unterrichtskompetenz für alle Klassen der Schule zugesprochen. (!!)

Seitdem bin ich jeden Montag und Mittwochvormittag für 2Stunden dort aufzufinden und bringe den Kindern Fallschule, Haltegriffe und Würfe bei. Die Kinder, deren Eltern sich niemals einen Sportverein oder eine japanische Kampfschule leisten könnten, lernen in diesem Sport viel über den eigenen Körper, Gleichgewichtssinn, Konzentration und Koordination. Das Altersspektrum liegt hierbei von 5-16Jahren.Das ganze macht mir großen Spaß und bis Mitte Dezember werde ich alle Klassen etwa 2x unterrichtet haben. Danach werde ich die Kids vor eine Entscheidung stellen und ich plane eine Judo-AG für Interessierte anzubieten, damit ich motivierte Schüler um mich habe, die Lust auf den Kampfsport haben und mit denen ich mich dann auch etwas mehr in die Materie vertiefen kann.

 

Soviel zu meiner aktuellen Arbeit und jetzt habt ihr einen Überblick, was ich hier den ganzen Tag so treibe. Sowie sich etwas ändern sollte werdet ihr es selbstverständlich erfahren … Ich hoffe es hat euch Spaß gemacht den Bericht zu lesen 😉 Schaut euch auch meine Bilder zu diesem Bericht an. Das war es von meiner Seite aus…!

 

Hope to speak to you soon,

Marcel

 

Kommentare
  1. OPA sagt:

    Hallo Marcel,
    es macht uns froh und stolz zugleich, daß Du es in der Arbeit zu Deiner Zufriedenheit getroffen hast, daß Du Deine Fähigkeiten und Kenntnisse so gut anwenden kannst !
    Bedrückend Deine Schilderung des sozialen Umfeldes vieler Schüler…
    Was aber das Bild betrifft, so erweckt es den Anschein, (zumindest bei Oma !), daß in DeinerGastfamilie Kein Küchenmeister namens Schmalhans werkelt ! -Ist es so?

    Herzliche Grüße von Oma und Opa

  2. Michaela sagt:

    Hey Marcel,

    ich habe eben deinen Bericht gelesen und bin total beeindruckt! Ich bin so stolz auf dich und beneide dich um deine vielen tolle Erfahrungen die du da machen kannst.

    Ich finde es schön, das du dich für die Kinder so einsetzt und das du deine Ideen auch umsetzt.

    Ich vermisse dich und freue mich wenn du wieder da bist.

    Liebe Grüße und mach weiter so!
    Michaela

  3. Mama sagt:

    Hola Marcello, ich finde es wundervoll, wie Du Dich engagierst! Schlimm genug, wenn man solche Zustände in Dokumentationsfilmen sehen muss, aber von Dir vor Ort darüber zu lesen macht betroffen aber auch sehr hoffnungsfroh, dass wenigstens ein paar jungen Menschen dort Perspektiven eröffnet werden können (zumindestens Anregungen für die Zeit nach Dir). Zum Thema Judo: ist dies nicht ein Verteidigungs- denn ein Kampfsport? Auf jeden Fall bin ich schon wieder neugierig auf Deine nächsten Berichte. Fühl Dich umarmt und geknuddelt aus der Ferne von Deiner Mama
    P.S. Mein Mikro ist nicht richtig eingestellt. Ich kann dann erst, wenn ich Zeit habe danach schauen und dann mit Dir skypen (wenn Du mal online bist)Kussi

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